Der Drang zu Gefallen: Was passiert mit uns, wenn wir uns immer anpassen?




Weißt du was die beschissenste Eigenschaft war, die ich jemals hatte? Dieser Drang gefallen zu wollen. Ich war immer abartig harmoniesüchtig. Die Art harmoniesüchtig bei der man nicht einschlafen kann, wenn ein Konflikt nicht zu hundert Prozent aus der Welt ist. Es gab immer nur zwei Optionen: Entweder wir kommen harmonisch miteinander aus oder Option B: Kontaktabbruch. Ich weiß, dass das extrem klingt, aber es ist die Wahrheit. Ich habe um jeden Preis versucht eine harmonische Atmosphäre aufrechtzuerhalten bis ich irgendwann so ausgelaugt war und sich alles angesammelt hatte und ich dann komplett auf alles geschissen habe. Das hat viel mit meiner Erziehung zu tun. Man hört ja immer so Sachen wie „Sei nett.“ Und „Streiten ist schlecht“ bla bla bla. Außerdem wurde mir in meiner Kindheit immer eingetrichtert ich wäre schwer umgänglich. Dieser ganze bullshit hat dazu geführt, dass ich immer alles getan habe damit sich mein Gegenüber wohl fühlt. An sich ist ja  garnichts Schlimmes daran nett zu sein, nur reden wir hier nicht von Nettigkeit. Ich weiß nicht genau wie ich diesen extremen Drang dazu Gefallen zu wollen erklären soll, also hier ein paar Beispiele, die das alles vielleicht etwas anschaulicher machen:
Ich habe einen Typen kennen gelernt, damals war ich zwanzig. Wir hatten absolut nichts gemeinsam. Er gab mir immer das Gefühl irgendetwas stimmte nicht mit mir und ich sei komisch. Sein Leben spielte sich im Volksgarten ab, während ich zwischen Uni, Bett und Billa hin und her switchte. Während ich zuhause saß und Batmanjacken nähte, fotografierte er seine Getränke im Starbucks. Er zeigte mir dauernd Sachen, die er mochte: Filme, Lieder, Sportler...etc. Er war ein Conor McGregor Fan und so kam es, dass er mir pro Tag 5 Artikel und Videos schickte, die ich mir ohne Scheiß sorgfältig anschaute. (Kleiner Fakt am Rande: Conor McGregor und die UFC und MMA interessieren mich einen Scheißdreck. ) Unsere Gespräche liefen dann zirka so ab..
Er: Hast du den Artikel über Conor McGregors neuen Diätplan gelesen, den ich dir geschickt habe? Krass, oder?
Ich: Jaaa, wie krank ist das, dass er diesen lowcarb lifestyle echt durchzieht. Denkst du seine Freundin zieht die Diät mit ihm durch? Letztens habe ich auf irgendeinem Instagrambild gesehen, dass er so ein Foto mit einem Bier gepostet hat. Denkst du er hat Cheatdays?
(Ich kann das Gespräch nicht 1:1 wiedergeben, aber ihr seht in welche Richtung es geht.)
Ich schaute mir den Scheißdreck nicht nur an, nein ich habe mich sogar dafür begeistert. Er schickte mit Lieder von Drake und diesen ganzen anderen 0815 Radio Müll (sorry an alle Drake Fans) und ich habe mir den Kack echt angehört, obwohl ich von Vornherein schon wusste, dass es absolut nicht meins ist.. Ich habe die Sachen nicht nur rezipiert, ich habe den Scheiß gelebt...jedenfalls habe ich mir das damals eingeredet. Ich wollte nicht komisch sein, ich wollte gefallen. Das Problem mit diesem „Gefallen wollen“ – Zwang ist, dass man nicht mal merkt wie sehr man davon beeinflusst wird. Die Begeisterung für McGregors Diätpläne hat sich echt angefühlt, so echt, dass ich irgendwann mehr keinen Plan hatte, dass sie garnicht echt war. Du redest dir Sachen so lange ein bis du irgendwann den Bezug zur Realität verlierst. Ich glaube, dass vieles davon mit meinem mangelnden Selbstwertgefühl zu tun hatte. Die Tatsache, dass ich so unglaubliche Angst davor hatte alleine zu sein hat auch eine große Rolle gespielt. Ich wollte so sein wie er sich das vorgestellt hatte, weil ich Angst davor hatte, dass er draufkommen könnte, ich bin doch nicht das was er will.  Ich hatte Angst, dass wenn ich mir diese ganzen beschissenen Videos nicht anschaue, die er mir schickt, er wütend wird. Wie gesagt, ich wollte nicht komisch sein, ich wollte irgendwo dazugehören.
Versteht mich nicht falsch, es ist schön, wenn man ein harmonischer Mensch ist. Es wird erst dann zum Problem, wenn du so harmoniebedürftig bist, dass du jeden Scheiß hinnimmst, weil du Angst vor Konfrontation hast, weil du Angst davor hast nirgends hineinzupassen. Ich habe vor einiger Zeit angefangen Grenzen zu ziehen und wenn diese Grenzen überschritten werden, dann führt das auch zu Konfrontationen, aber ich habe verstanden, dass diese ganz normal sind in einer gesunden Beziehung. Jemand der dich wirklich schätzt wird es dir nicht übel nehmen, wenn du deine Meinung sagst oder deine Grenzen definierst. Weiters ist es kompletter Bullshit sich und seine Interessen komplett an jemanden anzupassen aus Angst, diese Person würde einen nicht wollen, wenn man dies nicht tut oder weil man dieses Zugehörigkeitsgefühl braucht. Ab und zu erwische ich mich immer noch dabei wie ich versuche mich anzupassen und zu gefallen, aber dann rufe ich mir ins Gedächtnis, dass dieser Scheiß keinen Sinn macht. Wozu sollte ich so tun, als ob ich etwas bin um jemandem zu gefallen, der mich nicht will, sondern nur jemanden sucht, der sich an seine Interessen und Bedürfnisse anpasst. Ich habe absolut keinen Bock und keine Nerven mehr so zu tun als ob ich etwas wäre was ich nicht bin, nur weil mein Gegenüber das gerade braucht oder weil ich ansonsten „komisch“ bin. Könnte ich die Zeit zurückdrehen würde ich diesem Typen folgendes sagen: „Du stehst auf Frauen die Drake hören, viel fortgehen und auf ihren Instaprofilen Promipärchen mit #couplegoals posten? Cool, aber ich muss dich enttäuschen so bin ich nicht und werde es auch nie sein. Verpiss dich.“ Mittlerweile mache ich das auch so. Wenn mir Typen kommen mit „Ich stehe auf Frauen, mit denen ich ins Gym zum Pärchentraining gehen kann und die locker drauf sind und für die friends with benefits kein Problem ist....“ dann ist das in Ordnung, aber dann bin ich nicht das was du suchst. Und ich habe absolut kein Interesse daran es zu werden. Punkt. Ich kann aus meiner persönlichen Erfahrung nur folgendes Fazit ziehen: Authentizität ist mir persönlich wichtiger als zu gefallen. Ich bin gerne ich und ich mag Menschen die komplett sie selbst sind ohne Maskerade und irgendwelchem Schnick Schnack. Diese Welt ist voll von irgendwelchen leeren Hüllen und Fassaden, voll von Menschen, die mit jedem Trend, der aufkommt ihre Persönlichkeit ändern. Letztens waren alle super deepe Künstler, weil sie ihre Fotos mit Snapchatfiltern bearbeiten und Paulo Coehlo Zitate in ihre Bildbeschreibungen gepostet haben  und heute sind alle Feministen, lesen feministische Literatur, haben #girlpower in ihrer Beschreibung stehen und zitieren Emma Watson wie einst Paulo Coehlo. Ich könnte kotzen bei sowas. Aber ich schweife gerade etwas ab. Also peace out.

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