Meine alten Tagebucheinträge: Eine selbstreflektierende Analyse.


Ich habe ziemlich lange und ziemlich regelmäßig Tagebuch geschrieben, besonders in meiner Schulzeit. Ich habe die Notizbücher noch, nicht alle, aber die meisten. Also habe ich mir alte Tagebucheinträge von mir angeschaut um sie zu analysieren und mein Ich aus der Vergangenheit zu therapieren. Das was ich damals in mein Tagebuch geschrieben habe wird hier in kursiver Schrift wiedergegeben und meine heutigen Gedanken in der normalen Schriftart. Namen werden verändert oder weggelassen. Also falls du Bock hast auf bisschen fremdschämen, dann lies weiter:
Der Beitrag ist aus dem Jahr 2013 (März). Ich habe mir einen kürzeren Eintrag ausgesucht, weil ich pro Eintrag mindestens 2 Seiten geschrieben habe und dadurch manche einfach eeextrem lang sind. Ich war damals in der achten Klasse im Gymnasium, also so kurz vor der Matura.
Ich hab einen 5er in Mathe. Überraschung. Ich hatte seit über einem Jahr keine positive Matheschularbeit mehr. Wenn ich nicht lernen würde wäre es mir egal, aber ich lerne wie ein Scheißkind. Ohne Spaß, vielleicht sollte ich mich mal testen lassen, vielleicht habe ich einen geistigen Schaden oder sowas. Es gab eine Zeit, da dachte ich wirklich, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Ich konnte Mathe einfach nicht checken. Auch wenn ich es gecheckt hatte, konnte ich es bei den Schularbeiten nicht mehr. Ich dachte echt ich werde nie die Matura schaffen, geschweige denn studieren. Natürlich gab es Tage an denen ich optimistischer war, aber ¾ der Schulzeit habe ich mich unglaublich dumm und nutzlos gefühlt.  Ich habe so Angst vor dieser scheiß Matura. Ich heule schon den ganzen Tag, dann beruhige ich mich und dann heule ich wieder. Hauptsache ich will studieren und schaffe es nicht mal einen beschissenen Vierer zu schreiben. Dann kommen Leute und sagen, ja ¾ der Klasse hat einen Fünfer. Das wird schon bla bla bla. Darum geht`s nicht. Ich kriege nichts hin. Absolut garnichts. Wie man sieht hat mich das alles sehr belastet. Was ich damals nicht verstanden habe ist, dass ich meine Gefühle nicht richtig rauslassen konnte. Also wenn mich etwas verletzt hat (was meine Familie oder sonst wer gemacht hat, habe ich das in mich hinein gefressen bis ich einen „Grund“ hatte alles rauszulassen. Kurz gesagt: Alles hat sich aufgestaut bis ich mal wieder in der Schule versagt habe und dann kam alles hoch. Und es hat so weh getan. Ich habe nie verstanden wie ein Fünfer so weh tun kann, weil mir nicht bewusst war, dass ich nicht nur wegen dem Fünfer weine, sondern auch noch wegen einer Millionen anderer Dinge.  Wahrscheinlich habe ich so „überreagiert“ weil ich zu der Zeit verliebt war. Verliebtsein ist etwas Schönes. Besonders wenn die Person in die du verliebt bist auch in dich verliebt ist. Eigentlich hatte ich keinen Grund zu weinen. Da gibt es nur einen Haken an der ganzen Sache: Meine Angst vor Gefühlen und vor Nähe. Außer weglaufen und heulen. Ich habe irgendeinen Schaden fix. Jeden Abend nehme ich mir vor normal zu X zu sein und es klappt nicht. Er denkt fix ich hab nen Schaden. Ich mag ihn wirklich und er hat keine Ahnung. Ich bin so ein verklemmtes Opfer. Ich habe solche Angst. Vor ihm. Nicht vor ihm. Vor mir und ihm. Das ergibt keinen Sinn. Wenn mich Leute damals darauf angesprochen haben, warum ich mich so verhalte, konnte ich es nicht erklären. Viele denen ich es erzählt habe, dachten ich rede Scheiße. Was ich irgendwo auch verstehen kann. Ich habe es selbst nicht verstanden. Es war anstrengend. Ich wollte Zeit mit ihm verbringen und mit ihm zusammen sein, aber ich konnte nicht. Ich konnte wirklich nicht. Meistens war es so, dass die Gefühle in einem Moment so klar waren und im nächsten plötzlich weg. Du fühlst dann gar nichts mehr. Du hast dieses Verlangen nach der anderen Person nicht mehr. Und sie hat überhaupt keinen Einfluss auf deine Gefühle. Du selbst hast gar keinen Einfluss auf deine Gefühle. Und jeder der sich jetzt denkt, dass das Blödsinn ist oder einfach unreifes Verhalten liegt falsch. Angst vor Nähe/ Bindungsängste sind für viele Außenstehende unlogisch und machen keinen Sinn. Viele denken, dass man sich die Probleme selbst macht und alles unnötig verkompliziert. Die Leute tun so als hätte man eine Wahl. Ich hatte keine Wahl. Hätte ich eine Wahl gehabt, wären X und ich zusammen gewesen. Hätte ich eine Wahl gehabt, hätte ich ihn und mich nicht so gequält. Aber ich hatte keine Wahl. Weil Bindungsängste nichts sind was du einfach so los wirst, wenn du dich verliebst oder wenn der richtige Mensch kommt. Das ist bullshit. Bindungsängste muss man diagnostizieren und daran arbeiten. Mir war damals nicht mal bewusst was los war. Du hast diese Gedanken und Stimmungsschwankungen und du denkst es sind deine Gedanken und Stimmungsschwankungen. Du weißt nicht, dass es eigentlich die Bindungsangst ist. Bindungsängste lassen dir keine Wahl.  Wahrscheinlich mag er mich gar nicht. Ich bin nicht sein Typ. Ich kenne Y (Ex Freundin von X) . Zwischen mir und ihr liegen Welten. Sie ist ur heiß und süß und so glücklich. Ich schwöre sie lacht die ganze Zeit und ich heule jeden Tag. Ich bin nicht sein Typ. Ihm ist nur langweilig. Ich bin müde. Gottseidank ist Wochenende. Am Samstag ist Z Homeparty. Aber ich geh nicht. Kein Bock auf Menschen. Der Typ hat mir mehr als eine Millionen mal gezeigt, dass er mich mag. Ich hatte absolut keinen einzigen rationalen Grund für diese Gedanken, aber ich habe dauernd nach Ausreden gesucht, weil ich Angst hatte mich meinen Gefühlen zu stellen. Ich habe irgendwo eine gute Passage gelesen, die das gut zusammenfasst. Sie ging in etwa so: "Wenn du dich nicht selbst liebst, dann ist es ganz egal wie toll die Person ist und wie sehr sie dich liebt, du wirst es nicht sehen können."
Was kann man zusammenfassend sagen? Ich war 18 als ich diesen Eintrag verfasst hab und heute bin ich 23. Fast 6 Jahre ist es also her. Ich bin glücklich, dass ich nicht mehr in der Lage bin in der ich damals war. Ich hatte Probleme mit meinem Selbstwertgefühl und ich hatte Angst. Jeden Tag hatte ich Angst. Angst vor der Schule. Angst vor der Matura. Angst vor X und meinen Gefühlen. Es war echt nicht witzig. Ich finde es auch unglaublich anstrengend meine alten Tagebucheinträge zu lesen. Weil ich über Dinge geschrieben habe, die ich damals nicht verstanden habe und jetzt frustriert es mich. Kennst du das, wenn du einen Film schaust und die Hauptperson geht in den dunklen Raum, wo der Mörder auf sie wartet um sie umzubringen, und du denkst dir „Bitch, geh da nicht rein!!! Du wirst sterben!! Bitte tu es nicht!“ So geht es mir, wenn ich mein Tagebuch lese, besonders die Stellen mit X. Ich habe mich auch erst vor kurzen damit abgefunden, dass es nicht meine Schuld war, dass das alles nicht funktioniert hat. Ich konnte nichts für meine Ängste. Wenn ihr irgendetwas aus diesem Blogpost mitnehmen könnt, dann folgendes: Alles wird gut. Eine (oder zwölf) verhaute Matheprüfungen sind nicht das Ende der Welt. Ich kann nicht gut mit Zahlen, heißt das, dass ich dumm bin? Nein. Ich kann dafür andere Sachen. Ich glaube, dass es ganz leicht passieren kann, dass man denkt man ist dumm oder packt nichts, nur weil es in der Schule nicht gut läuft. Das ist bullshit. Ich kenne Leute, die soooo intelligent und belesen sind, aber die Schule nicht gepackt haben. Eine weitere wichtige Sache, die mir damals nicht bewusst war ist folgende: Hab Vertrauen und entspanne dich etwas. Ich habe mich verrückt gemacht wegen meinen Gedanken und X. Jetzt bin ich eher so der „Was sein soll wird sein“ – Typ. Früher habe ich mir schon von Anfang an 1 Millionen Gedanken gemacht: „Was wenn, er eine Freundin hat? Was wenn, wir zusammen kommen und ich will dann doch nicht? Was wenn, wir zusammen kommen und seine Familie mich nicht mag? Bla bla bla.“  Heute ist mir das alles so scheißegal. Was sein soll wird sein. Punkt. Ich habe Leute gesehen die nach 30 Jahren Ehe die große Liebe mit jemandem ganz anderen gefunden haben. Nichts ist sicher. Und wenn  nichts sicher ist, dann ist alles möglich. Entspannt euch und habt Vertrauen.

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